Endlich richtig Mann sein

Wie uns Männer die Zeit um die Lebensmitte verändert – und was wir daraus machen können.

Midlife-Crisis ist ein Schlagwort, das ich persönlich lieber mit Lebensmitte ersetze. Ich selbst bin jetzt 46 Jahre alt, Vater von drei Kindern und lebe in einer festen Partnerschaft. Bei mir waren es nicht die körperlichen Veränderungen, an denen ich den Wandel feststellen konnte. Jeder Mensch nimmt das anders wahr, so wird der Sportler naturgemäß über die körperliche Leistung auf Veränderungen aufmerksam werden. In meinem Fall war es aber eindeutig die Psyche, die zuerst reagiert hat.

Zunächst irritierte mich, dass trotz aller Tragik, die mit dem Tod meines Vaters verbunden war, kaum richtige Trauer aufkommen wollte. Der Zugang zu meinen Gefühlen war irgendwie verschüttet. Das bemerkte ich damals sehr bewusst. Aus heutiger Sicht fühlte ich mich ausgetrocknet, kaum fähig, eine Träne zu weinen. Immer öfter lag ich in den Nächten wach und spürte eine Art Sehnsucht in mir, wobei ich aber nicht sagen konnte, worauf sich diese Sehnsucht bezieht.

Ich hatte das äußerst irritierende Gefühl, nicht wirklich zu leben. Unendlich viele Fragen gingen mir durch den Kopf. War das, was ich lebte, überhaupt mein Leben? Warum war es in all der Fülle nicht möglich, einfach glücklich zu sein? Wie müsste mein Leben aussehen, damit ein Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit einkehrt? Immer wieder überkamen mich Phasen von Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit. Ich hatte das Gefühl mehr zu funktionieren, als bewusst zu leben. Die Anzeichen sprachen dafür, dass ich einem Burnout nahe war – zumindest wollte ich es so sehen.

Die Tatsachen liegen aber etwas anders. Die „Modediagnose“ Burnout wird gerne und oft von Männern in den Vordergrund gestellt, auch wenn es sich um umfassendere Krisen oder um den ebenso krisenträchtigen Wandel zur Lebensmitte handelt.  Warum?

Nun, für ein Burnout braucht man sich heute nicht mehr zu schämen. Man(n)  hat eben zuviel gearbeitet. Damit können Männer leben, das verdient sogar einen gewissen Respekt in unserer Leistungsgesellschaft. Damit wird aber der differenzierte Blick auf die menschliche Seele und ihre Bedürfnisse verhindert. Tatsache ist, dass es nach der ICD-10 Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Krankheitsbild Burnout nicht gibt, und ich denke, das ist auch gut so, weil damit Schubladendenken vorgebeugt wird. Es ist also ratsam, sich sehr bewusst damit zu beschäftigen, was hier im Menschen an die Oberfläche drängt. Die Gefahr ist groß, dass man bei vorschneller, falscher Zuordnung eine tiefer liegende Problematik übersieht.

So führt der Wandel zur Lebensmitte bei Männern zu einer Depression, wenn die grundlegenden Lebenssinn-Fragen nicht beantwortet werden können. Schon der Arzt und Psychiater C.G. Jung erwähnt, dass Depressionen von Männern um die vierzig eine gesteigerte Häufigkeit hätten. Ein Befund der heute noch viel krasser ausfällt, auch wenn die klassische Schulpsychiatrie den Zusammenhang mit der männlichen Lebensmitte erst allmählich aufzugreifen beginnt. Tatsache ist, dass die Selbstmordrate bei Männern zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahr ihren Zenit erreicht.

Die scheinbar einfachste Lösung dieser Problematik ist der Griff zu Psychopharmaka. Diese können – gezielt eingesetzt – den Menschen auf seinem Weg durch die Krise unterstützen. Wenn sich aber in US-amerikanischen Handbüchern Vorschläge für Cocktails aus bis zu zwölf verschiedenen Psychopharmaka finden, die Befindlichkeitsstörungen lösen sollen, so ist das eine gefährliche Entwicklung – vor allem dann, wenn sie in einem Land stattfindet, in welchem die meisten dieser Produkte in jedem Supermarkt frei erhältlich sind. Es ist fatal, wenn die Wendezeit zur Lebensmitte in ihrer Bedeutung als reines Defizit der Gehirnchemie verkannt wird und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung übersehen werden. (vgl.: Hofer M. in „Die zweite Halbzeit entscheidet“)

Aus meiner Sicht zeigt der Wandel zur Lebensmitte in beispielhafter Weise das Zusammenwirken von Körper und Psyche. Würde man in der Betrachtung dieser Thematik dabei bleiben, dass nur diese beiden Ebenen relevant sind, so würde man den wichtigsten Aspekt übersehen. Es ist die geistige Person in uns, jene spezifische menschliche Kraft, die unsere Selbstwerdung anstrebt. Indem wir lernen, ihre Stimme zu hören, kann aus der Krise eine Chance werden. Es ist die Chance, dem Leben und damit sich selbst ein Stück näher zu kommen

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