Hypnose – und was wir noch von Milton H. Erickson lernen können

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„Jeder ist so einzigartig wie sein eigener Fingerabruck“ Milton H. Erickson

Wer auch immer sich dafür interessiert, wie es möglich ist, in einem Menschen in kurzer Zeit große Veränderungen entstehen zu lassen, kommt nicht an Milton H. Erickson (1901-1980) vorbei. 

Nachdem die Hypnose zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Psychotherapie verdrängt worden war, erweckte sie Erickson in Form einer „Theorie des impliziten Wissens“ wieder zu neuem Leben. Er sah jeden Menschen als Individuum, dessen innere Ressourcen einzigartige Veränderungen bewirken können. Erickson sah Dinge, die sonst kaum jemand beachtete und erkannte, dass diese peripheren Phänomene den Schlüssel zum Wesentlichen in sich bargen. Zudem entwickelte er ein feines Gespür für Bewusstseinsveränderungen im Menschen.

Jeffrey Zeit (Schüler von Erickson) erzählte einmal von einem Mann, der zu Erickson kam, abrupt gegen den Stuhl trat und sich dann hinsetzte. Erickson sah ihn an und sagte: “Sagen Sie, waren Sie wegen Mordes im Gefängnis?“ Und der Mann begann, von seiner Haftkarriere zu erzählen. Der dabei sitzende Arzt im Praktikum war sprachlos und fragte Dr. Erickson, wie er auf diese Frage gekommen war? Und Erickson sagte: „Sie haben Tausende von Menschen gesehen, die sich auf einen Stuhl setzen. Aber Sie haben nie jemand vorher so einen Stuhl treten sehen.“

Ähnlich wie bei Viktor Frankl und anderen Pionieren, entstanden viele Ideen Ericksons unter widrigen Umständen. Nachdem er im Alter von 17 Jahren vorerst durch Polio gelähmt blieb, entdeckte der ehemalige Schulsportmeister neue Möglichkeiten, um das Potential des Unbewussten auszuschöpfen und entgegen der Prognosen der Ärzte überlebte er nicht nur, sondern erlangte fast die vollständige Kontrolle über seinen Körper zurück. Während er für ein ganzes Jahr vollkommen gelähmt war, konnte er nur seine Augen und Ohren benutzen. So entwickelte er seine besondere Wahrnehmungsfähigkeit. Er übte sich beispielsweise nicht nur darin, am Klang des Schrittes zu erkennen, welches Familienmitglied über den Hof geht, sondern auch in welcher Stimmung derjenige war.

Neben seiner einzigartigen Beobachtungsgabe entdeckte er den therapeutische Nutzen von Metaphern und Geschichten. Wie wohl kaum ein anderer Therapeut vertraute Erickson darauf, Anekdoten zu erzählen. Sie handelten von seiner Kindheit, seinen Patienten oder etwas anderem, oft sehr alltäglichem, enthielten dabei aber immer subtile Botschaften. Wie etwa die folgende Geschichte, die davon erzählt, wie ein einziger Satz genügen kann, um einen Menschen völlig zu verändern.

Joe war bereits im Alter von zwölf Jahren aus jeder Schule des Landkreises geflogen. Die Lehrer hatten ihn aufgegeben. Joe hatte eine Katze und einen Hund mit Petroleum übergossen und angezündet und versucht, die Scheune seines Vaters niederzubrennen. Und in diesem Alter gaben die Eltern die Erziehung ihres Sohnes verzweifelt auf und schleppten ihn vor Gericht, um ihn in eine Spezialschule einweisen zu lassen.

Erickson erzählte noch lange weiter von Joes Sündenregister. Doch schließlich begegnete Joe einer schönen Farmerstochter. Wann immer er sie traf, fragte er sie, ob er sie am Freitagabend zum Tanz ausführen könnte. Nachdem die Farmerstochter in lange ignoriert hatte, antwortete sie ihm eines Tages sehr kühl auf seine Frage: „Du kannst, wenn du ein Gentleman bist.“ In diesem Moment änderte Joe seine Einstellung und sein Verhalten. Als er soweit war und sie mit ihm ausging, tanzten sie den ganzen Abend. Am nächsten Morgen fanden drei Ladenbesitzer die Waren wieder, die ihnen gestohlen worden waren. Joe wurde Knecht bei dem Vater des Mädchens, einem reichen Farmer, und arbeitete sehr hart. Eines Tages heiratete er sie und wurde zum angesehenen Mitglied der Gemeinde.

Alles, was Joe an Psychotherapie erhalten hatte, war: “Du kannst, wenn du ein Gentleman bist.” Und das war genug, um 29 Jahre eines rücksichtslosen Leben zu beenden.

Erickson behauptete zwar nicht, dass ein einziger Satz immer ausreichen würde, um einen Menschen zu ändern, aber er wusste um die Bedeutung im richtigen Moment das richtige zu sagen.

Zwar gab er auch zu, dass ein Therapeut manchmal mit sehr bescheidenen Fortschritten zufrieden sein muss und manchmal gar nichts erreichen kann. Doch immerhin waren die Erfolge, die er gerade auch mit seinen Geschichten erzielte, so groß, dass heute Therapeuten in aller Welt versuchen, es ihm nachzutun. Er gilt als „Gründervater der modernen Hypnose“, wurde von Bateson als „Mozart der Kommunikation“ beschrieben und oft als „ein Therapeut ohne seinesgleichen“ bezeichnet.

Jeffrey Zeig erwähnte, dass Erickson vermutlich nur in zwanzig Prozent seiner Behandlungen eine formelle Hypnose angewandt hat. Wir können von ihm also nicht nur Hypnose lernen, sondern auch die umfassende Wahrnehmung des Gegenübers ohne zu werten und die Bedeutung von Worten und Formulierungen.

Foto Credit: Ruth Rambousek

 

 

 

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