Renate Pixner ist Diplom Pflegerin an den Salzburger Landeskliniken und hat am SinnZENTRUM Salzburg die Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin absolviert. Wir haben Sie gefragt, wie Menschen in Sozial- und Pflegeberufen von der Logotherapie profitieren können.

Renate, du bist Krankenschwester. Was ist deine Aufgabe und was ist wichtig bei deiner Arbeit mit Menschen?

 

Ich arbeite in den Salzburger Landeskliniken an der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin. Das Leistungsangebot der Anästhesie umfasst die Bereiche perioperative Medizin – Betreuung vor, während und nach der Operation (inklusive Narkoseambulanz und Aufwachräume), Intensivmedizin mit sämtlichen Intensivstationen im Hause, Notfallmanagement - Notärztesystem (Notarzteinsatzfahrzeuge und Hubschrauber) sowie Schockraumbetreuung und Schmerztherapie – Betreuung akuter und chronischer Schmerzpatienten. Mein Hauptaufgabengebiet liegt in der Schmerztherapie. Wir sind ein Team aus Ärzten, Pflegepersonen, Psychologen und Therapeuten und bieten mit der Schmerzambulanz allen Abteilungen sowie dem extramuralen Bereich eine Anlaufstelle für chronische Schmerzpatienten. Die Schmerzambulanz ist keine Akutambulanz. Die Patienten erhalten je nach freier Ressourcen bzw. Dringlichkeit ihren Termin und werden dann in interdisziplinärer Zusammenarbeit beraten, behandelt und betreut. Eine Psychologin steht für psychosoziale Themen zur Verfügung. Außerdem werden auch alle stationären Patienten mit Schmerzpumpen oder Nervenkathetern täglich vom Team der Schmerzambulanz im Rahmen einer Schmerzvisite besucht und bei Bedarf die postoperative Schmerztherapie neu angepasst.

Grundvoraussetzung bei der Arbeit mit Menschen ist die gute Zusammenarbeit innerhalb des betreuenden Teams. Erst wenn "Einigkeit" und eine positive Atmosphäre nach außen hin für den Patienten spürbar ist, kann dieser Vertrauen und ein Stück Sicherheit gewinnen. Die jeweiligen Teammitglieder werden für den Schmerzpatienten zu Vertrauenspersonen, an denen er sich bei Fragen, Unsicherheiten, Problemen und Sorgen wenden kann. Häufig übernimmt die Pflegeperson die "Vermittlerrolle" auf informativer Ebene zwischen Arzt und Patienten. Sie ist für den Patienten der "Übersetzer" dessen, was der Arzt gesagt hat, vor allem dann, wenn es um nochmalige Aufklärung der Abläufe und speziellen Maßnahmen geht.

Auf emotionaler Ebene ist bei der Arbeit mit Menschen Einfühlungsvermögen wichtig. Patienten wünschen sich hier einen Mitmenschen, der bereit ist, ihre Gefühle zu teilen und vor allem nach ihnen zu fragen. Einen besonderen Stellenwert nehmen Angstgefühle ein, da Patienten von sich aus kaum auf sie zu sprechen kommen, aber umso erleichterter sind, wenn das betreuende Team diese anspricht. Jeder, der mit Menschen arbeitet gilt als Motivator und Mutmacher. Es geht darum, dem Patienten in Gesprächen erreichbare Ziele aufzuzeigen, welche ihm helfen an seine Zukunft zu glauben. Meiner Meinung nach ist es nicht immer wichtig und auch nicht möglich lösungsorientiert, sondern vielmehr wert- und sinnorientiert zu arbeiten.

Gespräche und das "Sich-Einlassen-können" auf sein Gegenüber benötigen viel Zeit, die im Krankenhausalltag leider zu wenig vorhanden ist und doch sind es sehr oft die kleinen Dinge die zum großen Erfolg führen.

 

Wann hast du die Logotherapie-Ausbildung begonnen und warum?

 

2012 habe ich mit der Logotherapie-Ausbildung begonnen und befinde mich derzeit noch unter Supervision. Ich habe viele Jahre auf einer interdisziplinären Intensivstation gearbeitet und dabei viel Erfahrung sowohl im medizinisch-pflegerischen Bereich als auch in der Betreuung von Angehörigen sammeln dürfen. Neben der aufwendigen, technischen Apparatemedizin ging es in diesen Jahren mitunter auch um die Konfrontation mit besonders traumatischen Ereignissen, um Abgrenzung, Mitfühlen, Belastungen, Grenzerfahrungen und die Spanne zwischen Leben und Tod. Dadurch entwickelte sich in mir ein immer stärkeres Interesse an der Psyche des Menschen. Der Besuch von Erstsemestervorlesungen für das Studium Psychologie, welche hauptsächlich auf wissenschaftliche Arbeit und Statistik ausgelegt waren, brachten nicht das Richtige für mich. Ich war auf der Suche nach einer Weiterbildung, um mit psychosozialen Themen von Patienten und Angehörigen professioneller umgehen zu können.

Durch Zufall sah ich im Fernsehen eine Dokumentation über Viktor Frankl und so begann ich mich für die Logotherapie bzw. die Ausbildung zur Lebens- und Sozialberatung in Logotherapie und Existenzanalyse zu interessieren. Nun, jetzt bin ich mittendrin (lacht.)

 

Welche Aspekte haben dich an der LT-Ausbildung fasziniert?

 

In erster Linie fasziniert mich das Menschenbild der Logotherapie in dem der Mensch als Person beschrieben wird, die sich nicht allein aus ihren körperlichen und psychischen Bedingtheiten erfassen lässt, sondern die als geistige Person Stellung beziehen kann und aktiv ihre Lebensmöglichkeiten gestalten kann und will. Der Mensch ist also als eine Ganzheit von Körper, Psyche und Geist zu verstehen. Zwischen dem Körperlichen und dem Psychischen findet eine ständige Wechselwirkung statt, das heißt Emotionen des Menschen lösen immer gleichzeitig eine mehr oder weniger starke körperliche Reaktion aus und umgekehrt. Durch das Psychophysikum sind wir Menschen festgelegt, sind wir unfrei. Durch die geistige Fähigkeit jedoch ist der Mensch weltoffen, ist er frei. Wenn Körper und Psyche erkranken, bleibt der Geist weiterhin frei und gesund. Der "Geist", die geistige Person selbst kann überhaupt nicht krank werden.

Für den leidenden Menschen kann dieser Glaube etwas sehr Tröstliches sein. Er kann dadurch Einstellungswerte verwirklichen und so Sinn im Leiden finden. Ein weiterer wichtiger Aspekt und ein erster Ansatz im Beratungsprozess ist für mich die Auseinandersetzung mit den negativen und positiven Bedingtheiten des Menschen.

Die Logotherapie richtet den Blick hauptsächlich auf das Positive, dadurch öffnet sich ein Freiraum, neue Möglichkeiten entstehen. Jeder hat es jedoch selbst zu verantworten, ob und wie er diesen Freiraum nützt und seine Möglichkeiten, das Angebot des Lebens, wahrnimmt. Besonders faszinierend fand ich in der Ausbildung das Kennenlernen und "Hineinschnuppern" in die Methoden der imaginativen Logotherapie. Es ist bewegend, wie man im Rahmen der Selbsterfahrung darauf reagiert, was man dabei empfindet und wie wohltuend und hilfreich die eigenen Bilder sein können.

 

Wie war die Ausbildung mit der Arbeit zu kombinieren?

 

Durch den täglichen Kontakt und die Nähe zu Patienten hatte ich die Möglichkeit, erlernte und theoretische Ansätze der Ausbildung sofort in die Praxis umzusetzen. Am Beispiel des "Bei-Seins" habe ich begonnen, Gespräche mit Patienten viel bewusster, aufmerksamer und "hingebungsvoller" zu führen. Es war erstaunlich wie viel Vertrauen und Offenheit mir plötzlich entgegengebracht wurde. Das Hinführen auf die Sinn- und Wertearbeit hat bei mir selbst schon sehr viel verändert, aber auch bei Schmerzpatienten merke ich, wie gut es ihnen tut, sich damit auseinander zu setzen. Außerdem kann ich viele Visitengespräche, in denen ich logotherapeutische Aspekte eingebaut habe, für die Falldokumentationen, welche für den Abschluss der Ausbildung benötigt werden, verwenden.

 

Was hat sich für dich während der Ausbildung an der Arbeit verändert?

 

Vor allem in meiner Persönlichkeitsentwicklung hat sich viel verändert. Ich habe mich mit eigenen Themen auseinandergesetzt, die vorher manchmal hinderlich waren, mit denen ich mittlerweile aber ganz gut umgehen kann. Ich kommuniziere anders, nehme vieles anders wahr, bin offener geworden und kann mit den eigenen Schwächen und den Fehlern anderer besser umgehen.

In der Arbeit selbst begegne ich schwierigen Themen wie Tod, Angst, Trauer und Krankheit viel sicherer. Bei unbeantworteten Fragen finde ich durch die Wertearbeit immer wieder Gegenfragen, die dem Patienten helfen, hinzuspüren auf seine Werte und den Sinn des Lebens, seines Daseins.

Ich denke, dass der Umgang mit dem Patienten ein ganz anderer geworden ist. Durch die Ausbildung entwickelt man ein Gespür für die Menschen um sich und scheut sich nicht davor, sich mit ihren persönlichen Themen auseinanderzusetzen. Außerdem haben viele der Patienten und Kollegen vorher noch nie etwas von Logotherapie gehört. Mittlerweile wissen sie, um was es dabei geht.

 

Kannst du mir Beispiele nennen, wie du Situationen im Krankenhaus früher anders gehandhabt hast als heute, mit der Logotherapie?

 

In der Arbeit im Krankenhaus trifft man häufig auf sehr ängstliche und verzweifelte Menschen. Früher stand ich solchen Begegnungen eher hilflos und achselzuckend gegenüber. Ich schaffte es nur bis zu einem gewissen Punkt, ihnen weiter zu helfen und sie zu trösten und dann fehlten mir die Worte. Heute traue ich mir wesentlich mehr zu und weiß, allein durch mein "Bei-Sein" kann mein Gegenüber Geborgenheit und Hoffnung erfahren. In vielen Situationen bedarf es dann auch keiner Worte. Das Bei-Sein ist ein Beieinander-sein, ein Mitschwingen mit dem anderen. Es ist ein einander-Verstehen und ein sich-miteinander-Verständigen.

Im Bei-Sein entstehen Kräfte und Energien. In der täglichen Arbeit mit leidenden Menschen ist das Bei-Sein für mich oft das wichtigste und einzige Instrument, welches mir noch bleibt, um dem Patienten zu helfen, vor allem bei Patienten mit einer schweren, unheilbaren Krankheit, wenn aus medizinischer Sicht alles unternommen wurde und ausgeschöpft ist.

Wenn mich Patienten nach dem Sinn ihres Leidens, ihrer Schmerzen oder ihrer Erkrankung fragten, konnte ich ihnen vor einiger Zeit keine Antworten darauf geben. Heute weiß ich, auf was ich solche Menschen hinführen kann - ein Ausrichten auf ein Leben in Beziehung, Beziehung zu mir selbst, zum Du, zu einer Aufgabe, zur Natur, zur Spiritualität.

Durch übermäßige Selbstbeobachtung, ein zunehmendes "Kreisen um sich" sind solche Menschen nicht mehr in der Lage, ihre geistigen Fähigkeiten zu aktualisieren und Bezug zu nehmen auf ihre persönlichen Lebensmöglichkeiten. Sie leiden unter einem zunehmenden Gefühl von Sinn- und Wertlosigkeit. Folgend versuche ich Fragen zu stellen, wie zum Beispiel: Wer bist du? Was macht dich aus? Wie kannst du lernen, mit deinen Grenzen und Bedingtheiten umzugehen? Was benötigst du, um deine geistigen Kräfte wieder zu mobilisieren? Wofür lohnt es sich, zu leben? usw.

 

Gibt es eine Erkenntnis, wovon andere Krankenschwestern oder Menschen in sozialen Berufen profitieren könnten - oder auch ihre Sichtweise überdenken bzw. ändern?

 

Würden sich in einem Krankenhaus alle am Patienten arbeitenden Berufsgruppen nicht nur mit dem Psychophysikum beschäftigen, sondern sich ebenso viel mit der geistigen Dimension auseinandersetzen, würde dies zu einer eklatanten Bewegung Richtung Sinnstiftung führen!

Sinnlosigkeit, Frustration, Burnout, Depression, Sucht und Angst würden deutlich weniger werden. Dabei fällt mir immer wieder der Fall einer schwerkranken 28jährigen Karzinompatientin ein, die sich von mir im Rahmen der Schmerzvisite unter Tränen und massiven Schmerzen nur eines wünschte: "Geben sie mir ein Mittel, mit dem ich hinüberschlafen kann. Ich will und kann nicht mehr." Außer einer Anpassung der Schmerzmedikation in Absprache mit den zuständigen Ärzten konnten wir nichts für die Patientin tun, oder doch?

Ich saß bei ihr, nahm mir Zeit und ... ihre Hand. Im Gespräch erzählte sie mir von ihrem 6-jährigen Sohn, der während ihres bereits neunmonatigen Krankenhausaufenthaltes von ihrer Mutter betreut wurde. Sie redete viel. Durch meine Fragen was sie denn bewege, wonach sie sich sehne, wofür es sich für sie lohne zu leben, kamen Wut, Schmerz, Aggressionen und Trauer abwechselnd hoch. Es fiel mir schwer, es auszuhalten. Ich konnte nichts für sie tun, außer mit ihr diese halbe Stunde durchzuhalten. Dann wurde sie ruhiger und nachdenklicher. Am nächsten Tag besuchte ich sie erneut. Sie saß wesentlich schmerzfreier im Bett und war gerade dabei, einen Brief an ihre Mutter und ihren Sohn zu verfassen. Nach zwei Wochen wurde sie nach einer neuerlichen Operation auf die Intensivstation verlegt. Sie erwachte nicht mehr und verlor den Kampf gegen ihre Krankheit. 

 

Bringt die Ausbildung neben "Erleichterung" bei der Arbeit auch sonstige Vorteile die du für dich festmachen kannst?

 

Wie schon oben erwähnt. Derartige Ausbildungen bringen starke persönliche Entwicklungen. Im Unterricht sitzt man mit unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Berufsgruppen zusammen und profitiert voneinander. In den Peer-Group-Stunden entwickeln sich interessante Gespräche. In den angebotenen Supervisionen werden interessante "Fälle" besprochen und die Auseinandersetzung mit eigenen Themen in der Selbsterfahrung führt zu anderen Sichtweisen. Für den Abschluss der Ausbildung wird eine gewisse Anzahl an Gesprächsprotokollen mit Klienten vorausgesetzt. Stößt man dabei auch manchmal an seine Grenzen, so gewinnt man durch diese Gespräche doch zunehmend an Sicherheit und Erfahrung.

Ein Team aus Supervisoren im Institut bietet jederzeit Unterstützung an. Seit ich die Ausbildung absolviere hat sich im jetzigen SinnZENTRUM Salzburg viel entwickelt und es stehen immer wieder tolle Angebote zu unterschiedlichsten Themen zur Verfügung. Ein Blick auf die Homepage lohnt sich. Ich bin froh, ein Teil des Teams am SinnZENTRUM Salzburg zu sein. 

 

Wir danken für das Gespräch!

 

 

Foto Credit: THANKS TO Nazarova Dasha on Flickr 

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